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Will man wissen, wer die Götter und Göttinnen der Römer waren, trifft man auf ein erstaunliches Phänomen: Dargestellt werden in der Literatur nicht die römischen Götter, sondern ihre griechischen sogenannten Äquivalente. Dies findet man in Bezug auf keine andere antike Religion in dieser Weise: Bei ägyptischen Göttern erhält man die ägyptische Mythologie, bei sumerischen das Pantheon der Sumerer, bei germanischen Göttern wird meist die isländische Edda herangezogen. Selbst bei indianischen und afrikanischen Gottheiten findet man ihre Beschreibung im Zusammenhang der jeweiligen Religion. Nur bei den römischen nicht. Hier wird selbst im universitären Bereich noch immer die "gleichzusetzende“ griechische Gottheit genannt und die römische anhand der griechischen Mythologie definiert.
Da es nicht denkbar ist, dass die Römer, die ein Weltreich aufgebaut haben, und deren Kultur in vielen Bereichen bis heute für uns maßgeblich ist, keine eigenen religiösen Vorstellungen hatten, hier der Versuch, die Problematik der römischen Religionsdarstellungen zu erläutern.
Die Römer waren kein Volk bzw. Stamm mit definiertem Götterhimmel: Das "Volk von Rom" setzte sich von Anfang an aus Latinern, Etruskern, Sabinern, Oskern, Umbrern, Griechen, Phöniziern und Menschen aus weiteren Völkern zusammen. Der multi-ethnischen Gesellschaft entsprach ein Polytheismus, der hauptsächlich durch Vielfältigkeit gekennzeichnet war.
Nach einer römischen Religion zu suchen ist demnach genauso müßig wie die Frage
nach einer Religion der Nordamerikaner:
In den USA gibt es eine mit dem antiken Rom vergleichbare multi-ethnische Gesellschaft von Christen, Mohammedanern, Buddhisten und Anhängern einheimischer oder eingewanderter Naturreligionen.
Welche Gottheiten in Rom verehrt wurden war also von Anfang an nicht fest umrissen.
Wie alle antiken Formen war auch der römische Polytheismus ein offenes System, einen "Kanon" der Zugehörigkeit gab es nicht. Es galt die Formel:
„Was sich als Gottheit qualifiziert hat, wird aufgenommen“
Interpretatio Romana
Nach einiger Zeit gab es so viele Göttinnen und Götter, dass selbst die Römer keinen Überblick mehr hatten. Mehr als 400 Gottheiten mussten in eine überschaubare Ordnung gebracht werden. Dazu bedienten sie sich einer Methode, die bereits Herodot verwendet hatte: Per Definition machen gleiche Attribute gleiche Götter. So gab der griechische Schriftsteller in seinen Werken konsequent allen ägyptischen Gottheiten griechische Namen (interpretatio graeca). Es gibt Hinweise, dass die Gallier mit griechischen und römischen Göttern so verfuhren (interpretatio celtica). Wie weit solche Gleichsetzungen heutzutage noch aufrecht zu halten sind, ist unter Religionswissenschaftlern und Neuheiden umstritten.
Literarische Darstellungen
Nach dem Krieg mit Griechenland/Mazedonien mit abschließender Plünderung (224–194 v. Chr.) wurden große Mengen griechischer Literatur nach Rom gebracht und dort von den Dichtern begeistert aufgenommen. Dabei wurden die griechischen Texte teils übersetzt, teils nachgedichtet. Für griechische Gottheiten wurden nach dem Prinzip der Interpretatio romana römische Götternamen verwendet. Die wichtigsten Vertreter dieser neuen psedo-griechischen Literatur mit ihren Werken waren:
Naevius (265–201 v. Chr.) - Kommödien und Tragödien im griechischen Stil
Ennius (239–169 v. Chr.) - Nachdichtung z.B. von Euripides, Einführung des Hexameters anstelle des römischen Saturniers
Vergil (70–19 v. Chr.) - Großdichtung im griech. Stil, insbes. Aenaeis als Nationalepos
Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.) Metamorphosen, Fasti
Da es kein römsches "Religionsbuch" gibt, wurden diese Dichtungen besonders im Mittelalter und der Renaissance für Darstellungen der römischen Religion gehalten. Diese Auffassung hat sich auch in wissenschaftlichen Kreisen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (Wissowa) gehalten und wird in populären Darstellungen teilweise bis heute vertreten.
GedankenexperimentWas wäre, wenn Richard Wagner statt vor 150 Jahren vor 1500 Jahren gelebt hätte und seine Operntexte wären ins Griechische übersetzt worden? |
Heutige Darstellungsformen insbesondere in Monumentalfilmen am Beispiel des Hercules:
Der römische Gott Hercules wurde von den Kaufleuten verehrt, und zwar denjenigen, die in der Regel nicht selbst über Land zogen, sondern z. B. Wagenzüge ausrüsteten, die Getreide bei den Bauern des Umlandes einkauften. Hercules war der Beschützer dieser Karawanen. Da er - wie alle römischen Götter - keine Gestalt hatte, sondern eine allgegenwärtige Kraft war, "übernahm" er im Verteidigungsfall einen oder mehrere Kämpfer der üblichen Begleitmannschaft und verlieh diesen damit übermenschliche Kräfte,
Am Platz des ältesten Marktes (später Forum Boarium) stand ein Schrein, an dem die Kaufleute nach erfolgreicher Handelsfahrt dem Hercules den Zehnten opferten, aber ausschließlich in Naturalien! Wann immer also Wagenzüge oder später Handelsschiffe ankamen, versammelten sich die Armen von Rom dort, denn es gab Essen satt.
Hercules galt auch ansonsten als menschenfreundlich, denn er soll die Menschenopfer an Saturnus beim Argeer-Ritual abgeschafft haben; sie wurden durch Strohpuppen ersetzt. (Offensichtlich war Saturnus damit nicht einverstanden, denn er verschaffte sich im Gladiatorenkampf wieder Opfer von echten Menschen).
Mit dem Raufbold im kurzen Röckchen, wie er cinematografisch dargestellt wird, hat der römische Gott Hercules also nichts zu tun.